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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Freiheit als höchstes Gut


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Bild: sophie
 (© Eckdose)

Das Grundgesetz garantiert Freiheit. Freiheit ist Errungenschaft. Man kann stolz darauf sein, dass jeder weitestgehend so leben darf, wie er will. Dabei wird er unterstützt. Menschen, die früher nicht hätten studieren können, können es nun. Es gibt Bafög. Zum Beispiel.

Wähle frei, was Du aus Deinem Leben machen willst – wir stärken Dir den Rücken!

Das sehen auch die Eltern so. Während sie früher als Erziehungsziel Gehorsam, schleichend dann nur noch Respekt angaben, wollen die meisten heutigen Eltern, dass sich ihr Kind frei entfalten kann. Es soll sich selbst verwirklichen. In größtmöglicher Freiheit. Es soll selbstwusst sein und seine freie Meinung frei vertreten können. Es soll den Beruf erlernen, den es möchte. Auch Wechsel sind selbstverständlich gern gesehen. Man muss sich eben selbst finden. Das darf dauern.

Freiheit wird zum Ideal. Das höchste Gut der heutigen Gesellschaft: die Freiheit.

Mit der Freiheit ist es aber so eine Sache. Abstrakt gesprochen und frei nach Schelling ist sie größtmögliche Potentialität. Das heißt: Im Zustand der absoluten Freiheit bin ich nur, solange ich mir alle Möglichkeiten offen halte. Jede Entscheidung beschneidet die Freiheit. Jede Wahl schränkt meine Wahlmöglichkeit ein, macht mich unfrei. Ein Dilemma.

Das Dilemma macht sich bemerkbar. Wer die Freiheit als höchstes Gut bewahren will, der schreckt vor Entscheidungen zurück – erst recht vor solchen, die Weichen stellen. Die Berufswahl wird mitunter zum lang hinausgezögerten „No Point of Return“. Es hilft auch nichts, junge Abiturienten bereits mit 18 von ihrer großen Freiheit Gebrauch machen zu lassen, denn sie wissen es selbst:

Wer seine Freiheit gebraucht, der braucht sie auf.

Also wird die Freiheit genossen. Praktika gemacht. Propiert. Gereist. Den Zeiten nachgetrauert, in denen man noch einen zivildienstlichen Aufschub gewährt bekam, um es dann schließlich doch irgendwann tun zu müssen: Sich festlegen. Seine Wahlmöglichkeit einzuschränken auf nur eine Tür. Von so viel möglichen.

Und das gilt nicht nur für die Berufswahl, sondern genauso, wenn es gilt, sich auf nur einen – nur einen? - Partner für das Leben festzulegen oder sich gar für eine Religion entscheiden zu müssen. Solche Entscheidungen gelten mitunter als antiquiert und doch schneidet auch die Entscheidung für eine „postmoderne Lebensweise“ die Wahlmöglichkeit nicht minder ein. Der Arbeitsplatz kann gewechselt, die Scheidung eingereicht oder der Kirchenaustritt dokumentiert werden. Doch jeder dieser Akte beschneidet die freie Wahlmöglichkeit immer weiter. Der Lebenslauf wird fortgeschrieben.Das warme Nest der Potentialität ist längst verlassen.

Das höchste Gut und die höchste Verzweiflung.

Freiheit als höchstes Gut ist kein tragfähiges Lebenskonzept. Deshalb nicht, weil Freiheit in der Schwebe lässt. Niemals kann sie Fundament sein. Die selbstgesetzte Selbstbestimmung zur größtmöglichen Selbstverwirklichung und zur extremen Individualisierung mündet in Überforderung.

„Ich würde mir wünschen, dass ich die Wahl gar nicht hätte!“

Da ist etwa die Frau, die es strikt ablehnt, dass Schweine zu Organspendern für Nieren manipuliert werden. Doch wenn sie sich vorstellt, ihr eigenes Kind wäre auf eine Spenderniere angewiesen: „Ich würde mir wünschen, dass ich die Wahl gar nicht hätte. Dass sie mich vor so eine Entscheidung niemals stellten.“

Ein Mensch, der sich danach sehnt, dass ein anderer seine Freiheit beschränkt? Und das in der Postmoderne? Scheinbar unglaublich. Und wer sollte die Freiheit einschränken? - Im Beispiel natürlich die Wissenschaft. Wer sich die ganze Dilemma-Situation bewusst macht, dem schwant jedoch der Verdacht, dass das Nest der Potentialität in den Händen eines anderen liegt.

Schöpfung der Lebensgeschichte

Der einzelne Mensch hat sich biologisch nicht selbst erschaffen und versucht er sich als Schöpfer seiner Lebensgeschichte, so stößt er bald an seine Grenzen. Sehnt sich nach extern gesetzem Halt. Sobald er seine Handlungsfreiheit gebraucht, braucht er sie auf. Nutzt er sie aber nicht, wird er handlungsunfähig. Auch wenn es ein Einbüßen der Freiheit bedeutet: Es erleichtert dem zu leben, der damit rechnet, dass es ein anderer ist, der für einen und an einem handelt. Bestmöglich.

sophie in Philosophie am 28.09.2012 um 13.16 Uhr

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