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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Bayern liefert seine Grundschüler der Verlegerlobby aus

„Schau genau hin“


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Ganz stolz hatte mir eine Bekannte berichtet, mit ihrer vierten Klasse jetzt den Medienführerschein gemacht zu haben. Das sei ein neues Projekt vom bayerischen Kultusministerium. Jeder Lehrer hätte eine dicke Mappe mit Informationen und Materialien erhalten. Streng habe ihre Schulleitung darauf geachtet, dass auch jeder mit seiner Unterschrift Erhalt und Benachrichtigung bestätige.

Schritt für Schritt erzählte die Bekannte von den einzelnen Einheiten, die vom Projekt vorgesehen seien. Zuerst sei das Internet dran gewesen. Mithilfe der Mappe konnte die Klasse erarbeiten, was ein Blog ist. Am Schluss wussten die Grundschüler wie auch die Lehrerin, dass den Nachrichten in einem Blog nicht ohne Weiteres vertraut werden kann. In einem Blog könne alles stehen. Journalisten dagegen sollten sorgfältig arbeiten. Die Zeitung sei daher zuverlässig.

Verdutzt horchte ich auf. War dieser Erkenntnisgewinn nicht genau das, was Zeitungsverleger in ihrer Kampagne gegen Blogs und für ihr „Leistungsschutzrecht“ immer als „Argument“ in den Raum stellten? Sollten hier etwa durch die Lobbyarbeit bereits Grundschüler manipuliert werden, den Zeitungen alles zu glauben, das Internet dagegen zu verteufeln? „Das ist doch Gehirnwäsche!“, dachte ich, und vermutete den Verlegerverband dahinter. Geschickt verpackte Werbung für Zeitungen, zum selber Erarbeiten als „Taste the difference“ für Unkritische.

Die Bekannte gab mir die Adresse für die Medienmappe weiter. „Schau genau hin! Nachrichtenwege erkennen und bewerten“ ist ironischerweise der Titel zur „Unterrichtseinheit Printmedien“. Auf der Netzseite zum „Medienführerschein Bayern“ konnte ich meinen Verdacht erhärten. Ganz schamlos gibt mir das Projekt den Herausgeber als Quelle an. Vom „Verband Bayerischer Zeitungsverleger e.V.“ lässt das bayerische Kultusministerium sich also Unterrichtsinhalte diktieren.

Ein Blick in die Medienmappe lässt auch mich den Geschmacksvergleich vollziehen. Berichte zu ein und demselben Fall werden als „Blogeintrag“ und „Zeitungsnachricht“ den Kindern vorgestellt. Ein Skater überfällt eine Frau und stiehlt die Handtasche. Der Reporter erfährt vom Überfall. Die Schüler sollen überlegen, wer die Informationen gibt. Dann ruft der Reporter die Polizei an und fragt nach. Warum er das tut, sollen die Schüler überlegen. Auftrag an den Lehrer laut Mappe:

„Die Kinder sollten formulieren, dass er die Information überprüft.“ (Mappe S. 9)

Jetzt kommt der Blogger. Ein Mädchen hat den Überfall beobachtet. Ihr Freund „Bernd“ sitzt am Computer und schreibt ein Tagebuch. Die Mappe dazu:

„Das Tagebuch steht im Netz und kann von jedem aufgerufen werden. Ein Tagebuch im Internet nennt man auch Blog. Schreiben Sie den Begriff an die Tafel. Was ist das Besondere eines Blogs? Die Kinder sollten erkennen, dass ein Blog, wie ein Tagebuch, immer eine ganz persönliche Schilderung ist. Bernd schreibt z. B. von den Gefühlen seiner Freundin (‚Sie hatte richtig Angst’).“ (Mappe S. 9)

Danach steht eine Liste mit sonstigen Informations-Möglichkeiten im Netz. An erster Stelle stehen „Informationsseiten von Zeitungen“, danach „Webseiten von Privatleuten/ Verbänden/ Vereinen“, als letztes „Communitys und Chats“. Seiten von Unternehmen, Produkten und Behörden fehlen ganz.

Im nächsten Schritt folgt das genaue Hinsehen. Im Vergleich der Nachricht in beiden Medien fällt der Unterschied ins Auge. Der Skater, ein „Junge auf Rollschuhen“, ist im Blog zum „Mädchen auf einem Fahrrad“ geworden. Auch sämtliche andere wichtige Angaben hat der ungenaue Bernd verfälscht. Eine rhetorische Frage schließt sich an: „Welchen Informationen kann man trauen?“ Die Manipulation baut auf die hohen Umfragewerte für die Zeitung auf:

„Fragt man Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren, welchem Medium sie bei widersprüchlichen Informationen am ehesten glauben würden, steht die Tageszeitung immer noch auf Platz eins – vor dem Fernsehen, dem Radio und dem Internet (vgl. Jugendstudie JIM 2008, Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest).“ (Mappe, S. 3f.)

Das frage ich mich nun auch. „Nur wer Hintergrundwissen zu den Verbreitungswegen hat, kann erkennen, ob eine Nachricht glaubwürdig ist oder nicht.“, sagen die Herausgeber in der Zusammenfassung ihrer Unterrichtsmappe . Ehrenhaft ist es, über „Nachrichtenwege in die Zeitung und in das Internet“ aufklären zu wollen. Informationen bewerten und auf Quellenangaben zu achten ebenso. Aber: Missbraucht nicht gerade diese Indoktrinierung das Vertrauen der Eltern, Lehrer und Schüler in den Staat?

Mit einem ungleichen Vergleich wird den Kindern vorgegaukelt, auf die Zeitung könne man sich immer verlassen, im Internet stünde dagegen hauptsächlich Müll. Diese Medienverblendung hängt sich allein an der Argumentation auf, Journalisten hätten die Sorgfaltspflicht. Internet-Schreiber dagegen nicht. Dass Zeitungen häufig Informationen verschweigen, die Sorgfalt oft ohne rechtliche Konsequenzen verletzt werden kann, das wird auch den Schülern nicht gesagt.

Ein „Quiz für Medienprofis“ (Mappe S. B 8) stellt den Lernerfolg mit Multiple-Choice-Fragen sicher. Gilt „a) Jeder kann im Internet schreiben, was er will.“ – oder eher „b) Texte im Internet werden von dem Kontrollamt auf Richtigkeit geprüft“? Der Lernerfolg mag aussehen wie er mag. Auf das Logo des „VBZV“ am Rande weist bestimmt kein Grundschullehrer hin.

Wir merken uns: „Schau genau hin“ gilt auch für den, der dich dazu auffordert.

Hintergrund: „Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihrer Medienkompetenz zu stärken“ ist das erklärte Ziel der Aktion „Medienführerschein Bayern“. Das Kultusministerium hat nun (2010/2011) zum zweiten Mal umfangreiche Mappen an die Grundschulen verteilt. Die Lehrer sollten mit ihren Klassen aus vorgefertigtem Material den bewussten und kritischen Umgang mit Medien erlernen. Dieses „Angebot“ gilt für „jede interessierte Lehrkraft“, die „auf freiwilliger Basis teilnehmen“ darf. So stellt sich das Projekt des bayerischen Kultusministeriums auf der eigens eingerichteten Netzseite dar. Bei genauem Hinsehen ist die Aufklärung zum Umgang mit Nachrichten eine staatlich verbreitete Werbung für Zeitungen.

Nachtrag, 01.02.2011, 09.49 Uhr: Stefan Niggemeier hat zu der Geschichte einen spannenden und humorvollen Beitrag verfasst.

Nachtrag, 02.02.2011, 19.37 Uhr: Ein Kommentar über die Reaktionen und den Weg der Nachricht steht im Beitrag „Der Punkt an der Sache“.

Uli in Medien am 29.01.2011 um 20.40 Uhr

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