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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
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Fünf Stolperfallen für den Kopf

Stolperstein – Stolper-mal!


Bild: T.Urban
 (© Eckdose)

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(2) Erleben oder Erniedrigen?

In Berlin findet man diese Stolpersteine überall. In anderen Städten findet man sie nirgends – wie in München, wo sie wieder entfernt wurden. Bei den Stolpersteinen handelt es sich um Symbole. Und Symbole haben es nun einmal an sich, dass sie höchst deutungsoffen sind. Der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden Salomon Korn sieht in den Stolpersteinen begehbare Geschichte. Während abgeschottete Denkmäler häufig von den Bürgerinnen und Bürgern kaum verstanden oder überhaupt erst wahrgenommen werden, kann man bei den Stolpersteinen sinnliche Erfahrungen machen. Bei Regen bestehe sogar die Möglichkeit, tatsächlich auf ihnen auszurutschen. Die Stolpersteine könne man vergleichen mit dem „Walk of Fame“ in Hollywood, so Salomon Korn.

Symbole sind deutungsoffen und so erklärt sich auch die Entfernung der Stolpersteine in München. Hier schließt man sich der Meinung von Charlotte Knoblauch an, der ehemaligen Präsidentin des Zentralrats der Juden. Sie findet die Stolpersteine „unerträglich“. Hier werden Gedenktafeln ähnlich wie bei Gräbern in den Boden eingelassen, auf denen mit Füßen „herumgetreten“ werde. Das Unheil der Verfolgung und Massenvernichtung von Juden werde endlos fortgesetzt, indem ihr Andenken nicht bewahrt, sondern respektlos betreten werde. Sind etwa Friedhöfe nicht auch symbolische Erinnerungsstätten, die aus gutem Grund nicht der Geschäftigkeit des Alltags preisgegeben werden? Ebenso kam es zum Deutungsstreit als man in Leichlingen die sogenannten „Schmunzelsteine“ auf dem Friedrich-Überweg-Platz verlegte. Sie sollen an verstorbene Karnevalisten erinnern, „die viele Menschen zum Lachen gebracht haben“. Trotz diagonaler Gravur haben die goldenen Steine eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Stolpersteinen. Viele Bürgerinnen und Bürger sehen darin eine große Geschmacklosigkeit. Diese prinzipielle Deutungsoffenheit von Symbolen spiegelt sich auch in vielen gesellschaftlichen Kontroversen wider: um das Kruzifix in bayrischen Klassenzimmern, das Kopftuch bei Musliminnen, den Bau von Moscheen/ Minaretten und erst recht bei den Gewaltinzenierungen in den kodifizierten Texten von Religionen. Die frühchristliche Deutungskultur bringt diese Deutungsoffenheit von Symbolen sogar paradoxal in ihrem Grundsymbol zum Austrag: Der Tod Jesu soll ein Opfer für die Sünden der ganzen Menschheit sein; und dieser Tod Jesu soll zugleich der Inbegriff für die Aufhebung aller Opfer sein. Vermutlich ist das die Offenlegung einer Paradoxie, die in allen Symbolen bereits angelegt ist. Es wäre wünschenswert, Symbole stets deutungsoffen zu halten, sonst mutieren sie zu Ideologien. Niemand kann und darf verbindlich festschreiben, wie Symbole definitiv zu verstehen sind. Darum kann es nur gut tun, wenn um die Stolpersteine gestritten wird.

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T.Urban in Geschichte am 01.02.2011 um 21.30 Uhr

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Kommentare

Kommentar:

Ein nahezu enzyklopädisches Nachdenken über die Stolpersteine Danke, Tobi - Sie haben Dich also nicht nur angestoßen. Zum Letzten hätte ich noch eine Ergänzung bzw. einen Einspruch: Die Rolle des Opfers anzunehmen, bedeutet eine Loslösung von Schuld. Als Opfer werde ich nicht mehr zur Verantwortung gezogen. Und die Position würde neue Handlungsräume eröffen. Auf diese Weise solidarisiert sich die Sekte TOS mit den Holocaust-Opfern, um moralische Hemmungen zu überwinden...

Uli am 02.02.2011 um 09.07 Uhr.


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