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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
für Tagfalter und Nachtdenker

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Texte im Netz sind besonders anspruchsvoll

Die Herausforderung, einen Affen anzusprechen


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Bild: Uli
 (© Eckdose)

Affen in einem Labor werden Schreibmaschinen zur Verfügung gestellt. Weil Affen nicht schreiben können, sollen sie zufällig tippen. Damit möchten Forscher eine Aussage widerlegen. Ein Affe könne theoretisch ein Stück von Shakespeare schreiben. Wenn er nur lange genug Zeit hat. Das besagt nämlich das Gesetz des Zufalls: In einer unendlich hohen Zahl von zufälligen Buchstabenfolgen sind alle Werke der Weltliteratur vorhanden. Sowohl die Bücher, die geschrieben sind, als auch die, die noch geschrieben werden. Mit allen möglichen Druckfehlern und Alternativen.

Soviel zur Theorie. Die Affen jedenfalls haben nicht blätterweise Zufalls-Buchstaben getippt. Ihnen wurde so schnell langweilig, dass höchstenfalls ein paar Zeilen mit „pffffffff“ gefüllt waren.

Die Affen-Geschichte eignet sich als Bild fürs Internet. Theoretisch, heißt es, müsste dort ein Text eine nahezu unendlich hohe Leserzahl haben. Allein die Zahl aller Netz-Nutzer ist schon so unvorstellbar. Zig Hundert Millionen! Doch wie bei den Affen gilt: Zufallsergebnisse sind nur theoretisch. Lebewesen reagieren aber nach Sinnen und Reizen. Sie sind neugierig und unaufmerksam.

Und: Das Netz ist nicht unendlich. Das kürzeste Ende ist immer die Stelle, wo der Text hängt. Wenn dieser Text sich ins Netz begeben will, muss er auf dessen Struktur reagieren. Er muss sich anpassen, anfügen und anknüpfen. Gleichzeitig muss er sich als unersetzbar, als neu beweisen. Sonst knotet sich anderes an die Strukturstelle.

Ein Blick auf die Zeiten ist hilfreich, um das Netz zu begreifen. Es ist nämlich kein abgeschiedener Raum. Die Menschen, die sich in ihm bewegen, sind auch Menschen der äußeren Wirklichkeit. Insofern kann man auch nur deren Maßstäbe anlegen. Maßstäbe, die Menschen in einer „postmodernen“ Epoche erfassen. Gegensätze aus Alt und Neu, aus Stil-Reinheit und Vermischung, Kürze und Länge, Geschwindigkeit und Langatmigkeit sind die Pole.

Man baut längst Verschollenes wieder auf: Babylon fand seine Wiedergeburt in den 1990er Jahren. Berlin möchte sein verschwundenes Stadtschloss wieder haben. Neu kann aber nicht neu genug sein. Alle paar Jahre verpassen sich Unternehmen einen neuen Anstrich, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben. Autos sind nach fünf Jahren veraltet. Computer noch schneller.

Klassiker der Weltliteratur werden in nie da gewesenen Auflagen verbreitet und gelesen. Schiller schätzt man aufgrund seines unverkennbaren schwäbischen Stils. Gleichzeitig schreiben in unterschiedlichem Stil Menschen an einem weltweiten Lexikon. Historische Romane strotzen so vor Geschichten, die der Gegenwart entstammen.

Ehen können mit Kurznachrichten per Mobilfunk beendet werden. 140 Zeichen genügen, um Geheimnisse der Weltöffentlichkeit zu verraten. Zeitgleich lagert unter den Kellern Müll, der in zehn Generationen noch lebensbedrohlich sein wird.


Bild: Uli
 (© Eckdose)

Das Netz setzt seine Kultur um. Kurzzeitigkeit gelingt durch schnelle Verarbeitungswege. Texte sind eher im Netz, als man sie drucken kann. Durch die Vernetzung sind sie sofort überall verfügbar. Unmengen an Information sind erreichbar. Der Mensch hat die große Freiheit, nur noch das lesen zu müssen, was er will. Um sein Wissen zu erlangen, kämpft er sich nicht durch Bleiwüsten. Wird dem Affen langweilig, sucht er seine Unterhaltung woanders. Zum Beispiel bei Twitter. Eine Botschaft kann durch Verknüpfungen Zusammenhänge herstellen und vermischen, die zu anderen Zeiten nie gedacht worden wären.

Somit ist ein großes Publikum zwar möglich, muss aber erst erreicht werden. Nachrichten können schnell verbreitet werden. Aber die Botschaft wird nur dann verbreitet, wenn sie deutlich ist. Sachverhalte werden nur dann wahrgenommen, wenn sie sich in den Zusammenhang einfügen. Der Text muss – im doppelten Sinn – „im Netz“ sein.

Ein guter Artikel im Netz berücksichtigt einerseits sein Medium und seine Epoche. Er nutzt die technischen und geistesgeschichtlichen Möglichkeiten. Andererseits ist der gute Artikel mehr am Leser orientiert, als ein Text je zuvor war. Von Bedeutung ist das, was gelesen wird. Der Leser diktiert dem Autor aus seiner Lebenswirklichkeit die Inhalte. Er führt die Feder mit seiner kurzen Aufmerksamkeit. Und er bricht das Lesen ab, wenn die ersten drei Zeilen nicht mehr als ein „pffffffff“ enthalten.

Uli in Medien am 09.02.2011 um 11.04 Uhr


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