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Der Blog des Goldseelchen-Verlags
Anti-Faschismus-Demo „Stuttgart hält zusammen“
Jetzt gerade ist politisches Handeln sehr einfach. In nahezu sämtlichen mittel- bis ganz großen Städten Deutschlands gibt es an den Wochenenden Demonstrationen: gegen Faschismus, gegen Rechtsextremismus, gegen menschenverachtende Ideologie, für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte. Wer nicht möchte, dass die AfD und das dahinterliegende Gedankenbild weiter die politische Zukunft unseres Langes prägen, kann sich einfach samstags oder sonntags aufmachen und bei einer Demonstration gegen Rechts dazustellen. Aufstehen, hingehen, aufstellen. Du brauchst nicht einmal ein Schild.
In Stuttgart hatten wir an diesem dritten Januarwochenende gleich zwei Gelegenheiten. Am Samstag gab es die große Veranstaltung von „Stuttgart gegen Rechts“ auf dem Schlossplatz. Der riesige Schlossplatz, auf dem sich Einzelne sonst angesichts der räumlichen Weite verloren fühlen, quoll über mit Menschen. Am Sonntag drängten sich wieder Tausende in Stuttgart, diesmal auf dem Marktplatz vor dem Rathaus, bis hinein in die Nebenstraßen. So verschieden die Veranstaltungen waren, einig waren die Teilnehmenden darin, dass es ihnen reicht. „Nie wieder ist jetzt!“, stand auf vielen mitgebrachten Schildern.
Ein Schlaglicht auf den Sonntag: Die Jüdische Studierendenunion Württemberg hatte die Zivilcourage und Engagement, verschiedene Parteien, Religionsgemeinschaften, interreligiöse Dialoggruppen und Vertretende aus der Stadtkultur zusammenzubringen. Mit 700 Teilnehmenden hatten sie gerechnet. Gekommen sind mindestens zehnmal so viele.
Die Wintersonne schafft es zu dieser Zeit nicht mehr über die Dächer der Altstadt, wirft Schatten von den 50er-Jahre-Bauten. Als wir fünf Minuten vor drei Uhr ankommen, bevölkert ein buntes Gewimmel an Menschen (und einzelnen Hunden) die Fläche. Pappschilder auf Besenstielen oder Fahnen, wie die Regenbogen- oder die Europaflagge, die für Vielfalt und Menschenrechte stehen. Kleinkinder sind da, die „Omas gegen Rechts“, Studierende, Arbeiterinnen, Aktivisten, Glaubende, Politische, Unpolitische, in Stuttgart Geborene, Zugezogene und Menschen im Rollstuhl. Das politische Spektrum reicht von links bis zur CDU. Bei etwa fünf Grad hört die Menge zunehmende frierend den 13 Redebeiträgen zu. Über anderthalb Stunden quittiert der von den Wänden zurückhallende Applaus nicht nur Aussagen wie „Stuttgart hält zusammen“, sondern wird auch Unverständnis über die Weigerung der Politik geäußert, einen Verbotsantrag gegen die AfD zu unternehmen.
Durch die Redebeiträge zieht sich ein roter Faden: Die bunte Mehrheit steht nicht hinter der AfD, sondern zusammen gegen sie und ihre menschenverachtende Ideologie. Ihr Konsens ist, dass das Land kein zweites Mal in eine Diktatur laufen soll. Was Diktatur bedeutet, zeigten die Redenden mit mahnenden Rückblicken: Menschen mit Behinderungen wurden ermordet. Jüdinnen und Juden sowie Sinti und Roma wurden deportiert und ermordet. Menschen wurden aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung in Lager gesperrt. Offen mussten alle, die nicht in die nationalsozialistische Norm passten, alle, die sich nicht schweigend wegducken konnten, Kennzeichen ihrer vermeintlichen Andersartigkeit tragen.
Es ist gut absehbar, was passieren würde, übernähme die AfD die Regierung eines Landes. Nicht nur die perverse Konferenz von Potsdam zeigte das. Mitglieder des Landtags erzählten bei der Demonstration von furchtbaren Anfragen, Gesetzesanträgen, Aussagen der Nazi-Partei: Städte ohne Flüchtlinge, Zahlen zu Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund, Aufhetzen der einen Gruppen gegen die anderen. Kunst und Forschung würden kaputt gehen, wenn die 20 Millionen Menschen mit Herkunft außerhalb Deutschlands deportiert würden, stellte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski in Aussicht. Erst würde die Wissenschaft beschnitten, dann Meinungs- und Pressefreiheit, dann Freiheitsrechte überhaupt.
Warum wird so eine Partei nicht verboten? Michael Blume, der Antisemitismus-Beauftragte des Landes, kann es in seinem Keynote-Vortrag nicht fassen, dass Ministerpräsidenten zwar meinen, „LehrerInnen das Binnen-I verbieten zu können, nicht aber eine rechtsextreme Partei“. Das Verbot einer verfassungswidrigen Partei sei eine Vorgabe des Grundgesetzes und keine politische Willkürentscheidung. Gegen die gegenwärtige AfD-Propaganda-Lüge, nur links-grüne Eliten seien auf den Demos unterwegs, applaudierten Tausende zu Blumes Ausruf. „Man kann links sein, man kann grün sein, man kann zur Elite gehören. Aber man kann auch einfach nur ein anständiger Mensch sein.“
Andere Redner sagten, was anständige Menschen tun können: Weiter demonstrieren. Im Gespräch sein mit anderen – im Kollegium und in der Familie, was eine faschistische Regierung für unser Land bedeuten würde. Und demokratische Parteien wählen.
Übrigens, wer noch nicht unterschrieben hat, kann den Aufruf an den Bundesrat lesen, ein Parteiverbot der AfD zu prüfen.
Uli in Gesellschaft am 21.01.2024 um 20.28 Uhr
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